Rainer/Myrleans/Matthias Fan-Fiction

Folge 7 (Rainer)

E-MAIL: Rainer - Hamburg

„Aber das geht doch gar nicht!“ versuchte sich Lelaik das Gesehene zu erklären „Die weise Gebieterin steht über allen phantásischen Dingen. Sie kann unmöglich auch feststecken. Was bedeutet das? Betrifft sie das etwa auch?“


Bastians Gedanken schweiften ab. Es war tatsächlich so. Er spürte zwar kein Schuldgefühl, aber auch Bastian hatte jede Menge Geschichten angefangen und niemals zu Ende geführt. Ja – es ging sogar noch weiter. Eine Geschichte oder ein Buch nicht zuende zu lesen entsprach vielleicht dem Zeitgeist. Doch was war mit den Geschichten, die erst in den Köpfen der Menschen entstanden waren – und die niemand bisher aufgeschrieben hatte? Bastian war sich sicher. In den Köpfen aller Menschen entstanden auch in diesem Augenblick neue Gedanken und Bilder. Und wenn all das in Phantásien bereits Spuren hinterließ? - Bastian grauste es. Das war niemals wieder in Ordnung zu bringen. Ein einzelner vermochte es nicht. Er grübelte über die Bedeutung des letzten Bildes nach und konnte sich keinen Reim darauf machen. Bastian brauchte lange um zu begreifen, das nicht der Mensch in der Kutte so bedeutsam war, sondern die Tatsache das dieser vor der Gebieterin der Wünsche kniete. Um Phantásien schien es nicht zum Besten zu stehen. Doch warum? Waren die halben Geschichten eine wirkliche Bedrohung, drohte Phantásien an unvollendeten, liegenge-lassenen oder vorzeitig aufgegebenen Träumen, Hoffnungen und Wünschen zu ertrinken? Es kamen doch Menschen nach Phantásien? Waren die etwa das Problem?


Lelaik hatte sich wieder gefangen. Obwohl ihr die Aufregung wie ein Kloß im Halse steckte. Schließlich wagte sie sich Opui zu fragen „Was geschieht mit all den Bildern?“ Opui schwieg lange. Er überlegte, wie er Lelaik am schonendsten beibringen konnte, was hier unten schlußendlich passierte. „Sie werden eingegraben.“

„Was?“ Lelaik war entsetzt. Opui bemerkte, das Lelaiks Augen sich mit Tränen füllten. Er selbst rang nach Worten als er seinen Erklärungsversuch fortsetzte.

„Die Bilder die hier hängen sind alles verlorene Geschichten. Sie stehen schon zu lange still. Niemand glaubt mehr daran, das sie ihr Schöpfer jemals fortsetzen wird. Es passiert äußerst selten, das eines dieser Bilder jemals auf einem anderen Weg als durch die Gräber von hier verschwindet.“

„Durch die Gräber?“

„Es sind phantásische Lebewesen. Manche nennen sie auch Traumfresser, weil sie sich von diesen Bildern auch ernähren. Sie sind aber harmlos und außerdem blind. Sie graben seit Urzeiten die verlorenen Träume und Geschichten ins phantásische Urgestein ein. Es gibt einige Wenige, die diese Dinge nach Ewigkeiten wieder zutage bringen. Aber auch dann ist nicht gesagt, das sich jemand an sie erinnert. Die Traumfresser hat es schon immer gegeben. Im Grunde sorgen sie dafür, das Phantásien auf festen Fundamenten steht. Sie entsorgen die unvollendeten und vergessenen Gedanken und schaffen Platz für etwas neues. So kann man darin auch Positives sehen. Aber so viele Geschichten wie heutzutage – soviele hat es hier unten noch nie gegeben.“

„Opui, lass uns umdrehen.“ schlug Lelaik vor „Sonst begegnen wir vielleicht einem von diesen Gräbern.“

„Keine Angst. Uns tun sie nichts. Im Gegenteil, solange wir hier unten sind, verbergen sie sich. Die Traumfresser würden sich weder einem Menschen noch uns jemals zeigen. Ach, und noch etwas: Falls du jemals wieder hierher kommen solltest, suche nicht nach den alten Bildern. Du wirst sie nicht mehr finden. Bei jedem Besuch hier unten wirst du neue Bilder sehen.“

Lelaik hatte keine Tränen mehr. Nein, inzwischen dachte sie weiter.

„Gibt es denn keine Rettung für die Geschichten hier? Und wenn es nur ein klitzekleiner Teil wäre?“

„Schwierig zu sagen! In der Regel kann nur der Mensch eine Geschichte zu Ende führen, der sie auch angefangen hat. Es ist allerdings schon vorgekommen, das jemand anderes eine Geschichte fortgeführt und sogar ergänzt hat. Aber das ist wirklich äußerst selten. So etwas käme schon fast einem Wunder gleich.“ seufzte Opui.

„Aber gibt es denn gar keine Hoffnung mehr? Was wird aus uns? Werden unsere Bilder hier auch irgendwann hängen?“

„Mach dir nicht soviele Sorgen, Lelaik. Ich bin mir ziemlich sicher, das gerade in diesem Moment uns ein Menschenkind ziemlich nahe ist. Er hat sogar die Bilder gesehen.“


Bastian stutzte. Dieser Opui hatte ja ziemlich schnell mitbekommen, was vor sich ging. Nur – nein, so schnell konnten sie es doch nicht wissen, wer das Buch las. Er wurde nicht recht schlau, was die in Phantásien jetzt überhaupt von den Menschen erwarteten. Halbe Sachen – ihm fielen plötzlich alle Fehler ein, die er jemals in seinem Leben gemacht hatte. Selbst die aus der entferntesten Kindheit. Ihm kam in den Sinn, wie er damals Atréju und Fuchur fortgejagt hatte. Vom heutigen Standpunkt aus erschien sovieles peinlich und dumm und er wünschte sich sehnlichst, sein damaliges Verhalten ungeschehen machen zu können. Doch war es dafür nicht schon zwei Jahrzehnte zu spät? Atréju hatte damals niemals ein Aufheben wegen Bastians Verhalten gemacht. Ohne ihn wäre Bastian wohl längst ein Bewohner der Alten Kaiser Stadt geworden. Nein – was er in dieser Hinsucht Atréju verdankte war kaum in Worte zu fassen – und gedankt? Gedankt hatte er es ihm nie. Bastian überkam der Wunsch, sich mal mit Atréju auszusprechen, um einiges ins rechte Licht zu rücken. ‚Was wird aus Freundschaften, wenn man sich einfach nicht mehr sieht?‘ fragte er sich. Sein letzter Gedankenaustausch mit Lukas hatte da wohl ein verstecktes Bedürfnis geweckt.


Lelaik und Opui hatten inzwischen den Rückweg aus dem geheimnissvollen Stollen angetreten, als Opui im Gehen sagte: „Eines solltest du wissen, Lelaik. In Phantásien gibt es Geschichten, die schon über hundert Jahre alt sind. Andere landen schon nach wenigen Tagen hier. Warum das so ist weiß keiner. Niemand hat bisher darin eine Gesetzmäßigkeit erkennen können. Offenbar gibt es gewisse Dinge, die in der Menschenwelt unsterblich sind. Aber darüber sollten wir uns nicht den Kopf zerbrechen. Wir werden es nicht verstehen können.“


Die Seite war zu Ende. Bevor er umblätterte sah er kurz hoch. Er konnte in diesem Augenblick nicht anders, er musterte sein modern eingerichtetes Wohnzimmer und überlegte, welcher Teil der Einrichtung eigentlich nach seinen Vorstellungen ausgesucht worden war. Sein Blick blieb an dem abstrakten, aber modernen Kunstdruck über seiner Couch hängen. Er hatte bis heute nicht herausbekommen, was es eigentlich darstellen sollte. Das Bild war ein Geschenk von seinem Agenten gewesen, der eigenhändig dafür gesorgt hatte, das es dort auch angebracht wurde wo es heute hing. Wenn man lange genug auf das Bild starrte, konnte man darauf alles mögliche erkennen. Einen potthäßlichen Hund von der Seite, eine buckelige alte Frau, ein Haus mit Kamin und wenn man noch länger draufsah, verschwammen alle Flecken zu einem undefinierbaren Brei. Bastian dachte an etwas, was er als Kind selbst geschaffen hatte. ‚Die Wüste der Farben‘ Er musste kichern. Nein, seine Wüste damals hatte eine völlig andere Ästhetik. Irgendwie empfand er es als angenehm, sich an die Sachen von damals zu erinnern. Selbst wenn ihm sein ganzen Leben in die Brüche ging, diese Erinnerungen konnte ihm niemand mehr nehmen. Das war gewissermaßen für die Ewigkeit. Und so langsam überkam Bastian der Wunsch herauszufinden was aus seinem damaligen Phantásien geworden war. Ob es die Wüste der Farben immer noch gab? Ganz besonders interessierte ihn jedoch, was aus der Bibliothek von Amarganth geworden war. Ob es seine neuesten Werke dort auch gab? Ja, wenn es einen Weg gäbe, unerkannt einfach mal in Phantásien nach dem Rechten zu sehen. Am besten unsichtbar. Doch Bastian war sich sicher, das ihn dort ohnehin niemand mehr erkennen würde. Ob es überhaupt noch ein Andenken an ihn dort gab? Er erinnerte sich an seine letzte Begegnung mit Atréju und Fuchur, an das Gewölbe mit den Kerzen und an die Kindliche Kaiserin. Alles das hatte sich vor ein paar Wochen im Traum abgespielt. Waren Träume nicht Produkte des Unterbewusstseins? Was hätte er daran selbst steuern können? Hatte ihm sein Gehirn eine Konserve aus längst vergangener Zeit vorgesetzt? Doch er hatte ganz deutlich den erwachsenen Atréju gesehen. Er hatte ihm direkt in die Augen gesehen. Und das konnte Bastian nicht vergessen. Welchen Preis müsste er zahlen, um erneut nach Phantásien zu gelangen? Bastian blätterte endlich um und las weiter.


Das Feuer in der kleinen Höhle war schon fast niedergebrannt. Die Kühle der Nacht kam langsam herein und kroch in die Glieder. Bastian fröstelte und verkroch sich noch tiefer in die Decke seines Schlafplatzes.


Bastian stutzte erneut.

„Was? So ein Quatsch! Ich bin doch hier.“ dachte er bei sich. In diesem Augenblick gab es im Keller des Hauses einen lauten Knall, worauf das Licht verlosch. Obwohl der Knall laut im Treppenhaus widerhallte, erschrak Bastian nicht allzusehr. Er kannte das Geräusch. Vor ein paar Jahren waren schon mal die Hausanschlußsicherungen durchgebrannt. Der Notdienst vom Elektrizitätswerk kam erst Stunden später. ‚Ausgerechnet jetzt!‘ dachte Bastian. Es war stockdunkel geworden. Er stand auf, um die Taschenlampe zu holen, die in einem der Flurschränke liegen musste. Er hatte keine fünf Schritte getan, als er sich schmerzhaft das Schienbein stieß. Vorher hatte doch dort gar nichts gestanden? Er drehte sich weg um weiterzugehen. Ein paar Schritte weiter stieß er sich den Kopf. Verärgert über den Stromausfall und darüber, das er sich anscheinend im Dunkeln in seiner eigenen Wohnung nicht mehr zurechtfand, kehrte er um und setzte sich wieder auf das Sofa. Er ertastete das Buch und suchte etwas, was man als Lesezeichen zwischen die Seiten packen konnte. Egal, er war sowieso erst am Anfang. Bastian schlug das Buch zu und streckte sich auf dem Sofa aus. Er kuschelte sich unter die Decke, die normalerweise tagsüber darüber lag. Bastian wollte warten bis der Strom wiederkam. Wenn das Licht wieder anging, würde er es schon merken. Langsam wurde ihm ein wenig kühl. Er drehte sich auf die Seite, zog die Beine unter die Decke und schlief schließlich ein.

Rainer - Hamburg

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