Rainer/Myrleans/Matthias Fan-Fiction

Folge 8 (Rainer)

E-MAIL: Rainer - Hamburg

VIII. Die Kindlichen Jäger


‚Huah, ist das kühl hier‘. Irgendein Geräusch hatte Bastian geweckt. Die Augen noch verschlafen, erahnte er durch die geschlossenen Lider das es gerade wieder hell wurde. Da war es wieder, dieses eigentümliches Zischen! Bastian schlug die Augen auf, die er sich im nächsten Augenblick verwundert rieb. Er befand sich in einer Art Felsenhöhle. Was war geschehen? Wo war er hier? Und vor allem, wie war er hier hingekommen? Nach einer Weile hatte er seine Sinne soweit wach, das er einen Versuch unternahm sich zu orientieren. Die Höhle war nicht allzu groß. Sie war mehr ein überhängender Felsvorsprung, der vor Wind und Regen einigermaßen Schutz bot und doch groß genug war um darunter eine Feuerstelle anzulegen. Diese Felsnische schien desöfteren von irgendwelchen Unbekannten besucht zu werden. Die Feuerstelle war mit Geröllbrocken eingefasst und herumliegende verkohlte Äste und reichlich Asche bezeugten das hier schon mehr als einmal übernachtet wurde. Bastian sah sich weiter um. Die Höhle war groß genug um mehreren Leuten Schutz zu bieten. Doch entweder waren seine Begleiter schon aufgebrochen oder er war wirklich allein hier. Bastian glaubte inzwischen an einen Filmriß. Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wie er hierher gekommen war. Und vor allem warum? - Da war es wieder, dieses eigenartige Zischen! Bastian empfand es in irgendeiner Weise bedrohlich. Er musste herausfinden was es war, oder sich zumindest davor in Sicherheit bringen. Als er die Decke zurückwarf und aufstehen wollte, bekam er den nächsten Schreck. Er trug nicht die Sachen die er kannte. Alles hatte sich verändert. Seine Kleidung kam ihm zwar nicht unbedingt fremd vor aber irgendwie anders. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr fiel im auf, das er sich so den Held seines letzten Buches vorgestellt hatte. Er trug eine dunkelgrüne weite Hose und ein helles haselnussbraunes Hemd. Er sprang auf und entdeckte dicht neben seinem Schlafplatz ein Paar ausgetretene, dunkelrote Stiefel. „He!“ durchfuhr es ihn „Die hab ich ja EWIG nicht mehr angehabt.“ Jetzt wo er sie wiedersah fiel ihm ein, das er sie schon auf füheren Reisen getragen hatte. Daneben fand er noch einen langen dunklen, braunen Mantel, der eher ein Umhang war und wohl nur die Kleidung schützen sollte, die man darunter trug. Da niemand sonst hier war, mussten es wohl seine Sachen sein. Bastian zog sich an. Er beeilte sich. Das merkwürdige Geräusch kam näher. Er zo die Stiefel an und musste sich dafür kurz auf seine Füße konzentrieren. Als er wieder aufsah erschrak er fürchterlich. Vor sich hatte er die Quelle des eigenartigen Zischens. Eine riesige, weiße Schlange hatte sich so vor dem Ausgang der Felsenhöhle postiert, das niemand mehr heraus oder hereinkam. Und sie kroch noch immer züngelnd näher. Endlich schien sie Bastian bemerkt zu haben. Die Schlange richtete sich auf. Zwischen dem Züngeln öffnete sie immer wieder ihr Maul und heraus kam dieses widerliche Zischen, das Bastian vorhin geweckt hatte. Und irgendwie kam ihm die Schlange bekannt vor. Er wusste sie nur nicht einzuordnen. Er ahnte, das er hier so schnell wie möglich verschwinden musste. Doch wie sollte er das tun, wenn die Schlange den einzigen Ausgang versperrte? Sie kam jetzt nicht mehr dichter und hatte sich hoch aufgerichtet. Bastian musste den Kopf in den Nacken legen um den Kopf der Schlange im Blick zu haben. Ihr Zischen klang merkwürdig. Als wollte ihm das scheußlich riesige Tier etwas sagen. „FFFF...SSSS...Tsch!“ Mehr vermochte Bastian nicht herauszuhören. Er blickte hoch, direkt in das Gesicht des Schlangenkopfes und sah, das sie große, bernsteinfarbene Augen hatte, mit der schlangentypischen senkrechten Pupille. Die Schlange fixierte ihn mit ihrem Blick und Bastian bekam eine Gänsehaut. Er wusste selbst nicht warum, aber er wich zurück. „VVVsss – schw – fff – tf!“ Bastian glaubte das Wort ‚Verschwinde‘ herausgehör zu haben. Fieberhaft versuchte er die Schlange einzuordnen. War es eine Giftschlange, die ihn möglicherweise beißen konnte? Oder war das riesige Vieh eher eine Würgeschlange, die ihn gleich im Stück verschlingen würde? Bastian hatte Angst vor beidem. Er musste hier weg! Mit dem Mut der Verzweiflung trat er plötzlich einen Schritt auf die Schlange zu. Der Kopf wich tatsächlich kurz zurück – um dann blitzartig in Richtung Bastians Kopf vorzuschnellen. Der konnte gerade noch zurückzucken. In Sekundenbruchteilen witterte er seine Chance. Die Schlange hatte sich ein Stück nach rechts bewegt. Links daneben, zwischen Felswand und Schlange war ein Stück frei geworden um ohne auf das Tier zu treten hinauszukommen. Doch man musste schon kopfüber losspringen, wie ein Torwart der einen entfernten Ball abfangen will. Das war Bastian schon klar. Er fürchtete sich dabei weh zu tun. Doch seine Furcht vor der Schlange war schließlich stärker als seine Furcht vor dem Schmerz. Er wusste ja nicht, was die Schlange mit ihm vor hatte. Möglicherweise war er ja als Frühstück auserwählt? Es musste schnell gehen. Er durfte nicht mehr lange überlegen. Er versuchte sich zu konzentrieren und spannte seine Muskeln an. Jetzt! Mit aller Kraft stieß er sich ab. Selbst wenn er aus dem Stand nur zwei Meter schaffte und sich den Rest der Strecke überschlug. Seine Sprung müsste eigentlich in einer Rolle vorwärts enden, bloß so etwas hatte er seit dreizehn Jahren nicht mehr gemacht. Im Flug spürte er plötzlich, das er an Hals und Schulter von einem scharfen Strahl einer heißen Flüssigkeit getroffen wurde. Bastian schrie entsetzt auf. Die Schlange hatte ihn mit ihrem Gift angespuckt. Es musste Gift sein. Zum Glück hatte sie nicht zugebissen. Bastian wusste, das es auch Schlangen gab, die in Bedrängnis ihre Opfer anspien. Offenbar war das hier der Fall. Mit der Rolle vorwärts wurde es nichts. Bastian kam unsanft mit der rechten Schulter am Boden auf. Er drückte sich mit den Händen wieder hoch und stolperte mehr als er lief davon. Nach zwanzig Metern hielt er an und drehte sich um. Gerettet! Jetzt konnte er seinen Gegner besser betrachten. Eine weiße Schlange, tatsächlich. Eine wirklich riesige, weiße Schlange. Da sie sich zusammengerollte hatte, konnte er ihre Länge nicht abschätzen. Aber ihr Rumpf war an der mächtigsten Stelle gut und gerne drei Meter dick. Er überlegte, ob es Sinn hatte zu warten bis sich die Schlange endlich verzog und die Höhle weiter zu untersuchen. Nein! Er musste dringend Wasser finden und das Gift abwaschen. Die Flüssigkeit, die ihn getroffen hatte, brannte wie Feuer auf der Haut. Dort, wo sie sein Hemd getroffen hatte, bildeten sich langsam dunkle Stellen im Stoff. Es dauerte nicht lange und er fand einen träge dahinfließenden Bach. Das Wasser war nicht glasklar, sondern bräunlich verfärbt. Das störte jetzt jedoch nicht. Bastian zog sein Hemd aus. Er tauchte die Hände in das Wasser und erschauerte. Das Wasser war ziemlich kalt! Die Vorstellung, es über den Rücken zu schütten, kostete ihn einige Überwindung. ‚Es muss sein!‘ sagte er sich. Nach einer Weile hatte er sich mit einigem Juchee an die Wassertemperatur gewöhnt. Er schüttete sich ein paar Hände voll ins Gesicht und es tat gut. Es erfrischte – und vor allem half es richtig wach zu werden. Er sah sein Hemd an. Die Giftspritzer schienen eine ätzende Wirkung auf das Gewebe zu haben. Es half alles nichts, er musste die Spritzer mit reichlich Wasser abspülen. Seine einzige Oberbekleidung war damit nass. Mit nacktem Oberkörper saß er and der Bachböschung und fing langsam an zu frieren. Die Sonne war inzwischen aufgegangen und stieg höher, doch es war noch ein wenig frisch. Er hatte sein Hemd so vor sich ausgebreitet, das es möglichst schnell trocknen würde. Es blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten. Außer davon abgesehen, das er etwas fror, wurde ihm langsam langweilig. Gegen das Frieren versuchte er sich mit ein wenig Bewegung aufzuwärmen. Gegen die Langeweile fand er nichts. Irgendwann fing er an in seinen Gedanken zu versinken. Und nach einigen Minuten tiefgehender Grübelei fiel Bastian ein, was möglicherweise mit ihm passiert sein musste. Er wusste nicht so recht, ob er sich ärgern oder freuen sollte. Bastian erinnerte sich wieder, das er die Unendliche Geschichte gelesen hatte. Das er den Wunsch hatte einmal unerkannt nach Phantásien zu gelangen, um dort einmal nach dem Rechtem zu sehen. Das auf einmal in dem Buch etwas von der Felsenhöhle stand, und von ihm, und das der Strom plötzlich ausgefallen war. Den Rest hatte er ja gerade erlebt.


Bastian kam sich so unendlich alleingelassen vor. Damals, vor langer Zeit, war er der Retter gewesen, nachdem sogar gesucht wurde. Jetzt hatte er das Gefühl, das ihn hier in Phantásien überhaupt niemand erwartete, außer einer riesigen Schlange, die nichts besseres zu tun hatte als ihm eine Ladung Gift and den Hals zu spucken. Wahrscheinlich lag es daran, das er inzwischen erwachsen war. Phantásien war etwas für Kinder. Die wurden hier jedenfalls freundlicher empfangen; redete sich Bastian ein. Jedoch, das er überhaupt wieder seine Füße auf phantásische Erde setzten konnte – das erfüllte ihn schon mit einem gewissen Triumphgefühl. Er – Bastian – war jetzt wieder hier. Und er war felsenfest der Meinung, das er sämtliche Fehler eines Kindes nicht wiederholen würde. - Bastian glaubte, das er hier schon allein zurechtkäme. Doch allein bleiben wollte er eigentlich nicht. Das hatte mehrere Gründe. Einer davon war, das er langsam Hunger bekam. Er hatte keine Ahnung vom Jagen und er wusste auch nicht so recht, welche Früchte am Weg bedenkenlos essbar waren. Überhaupt machte er sich furchtbar viele Gedanken, da ja in Phantásien alle so anders war, oder jedenfalls redete er sich das ein. Bastians Gegrübel hatte den einzigen Zweck um Himmelswillen keinen Fehler zu machen. Das unterschied ihn von einem Kind, das die Sache wohl sehr viel unbekümmerter angegangen wäre.


Die Sonne wärmte langsam. Bastian griff nach seinem Hemd. Ganz trocken war es noch nicht. Doch er wollte nicht noch länger warten. Er zog sich das Hemd über und überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte. Er entschloss sich dem Bach zu folgen. Seine Sorge war, das er sich erkälten könnte. Den Mantel musste er in der Höhle zurücklassen. Er hatte keine Lust dorthin zurückzukehren und womöglich erneut der Schlange zu begegnen. Als er sich auf den weg machte, kam er sich vor wie der Botschafter einer ganzen Generation. Er wusste ja nicht, das auch Erwachsene aller Altersstufen regelmäßig hierher kamen. Aber vor allem ahnte er nicht, das es das Phantásien was er zuletzt als Kind und Jugendlicher besucht hatte, gar nicht mehr gab. Es hatte sich so verändert, das es jetzt der Phantasie eines Erwachsenen entsprach und auch deren Ängste und Hoffnungen beinhaltete. Bastian besaß viele davon.

Er versuchte dem Bachlauf immer weiter stromabwärts zu folgen. Das war gar nicht so einfach, denn es gab keinen Weg. Ab und zu kam eine Bachaue. An den höhergelegenen Stellen stand das Gras kniehoch und erschwerte das Fortkommen. An den tieferen Stellen war das Gras kürzer. Dafür musste Bastian aufpassen, keine nassen Füße zu bekommen. Wenn der Bach einen Wald durchquerte, war es am einfachsten wenn das Unterholz etwas spärlicher war, weil die Baumkronen ein geschlossenes Blätterdach bildeten. Doch sehr oft musste sich Bastian regelrecht vorwärtskämpfen. Er hoffte das der Wasserlauf irgendwann an einer bewohnten Behausung vorbeiführen würde. Und vor allem hoffte er auf etwas zu essen. Sein Magen knurrte denn es hatte kein Frühstück gegeben. Dazu kam, das Bastian sich nicht traute, das Wasser des Baches zu trinken. Als er sich das Gift abwusch, hatte er festgestellt das es leicht modrig roch. Er fürchtete, möglicherweise Durchfall zu bekommen, wenn er es trank. Er musterte die Gegend ständig nach etwas ihm bekanntem Essbaren. Aber es gab nichts. Tiere kreuzten desöfteren seinen Weg. Vögel waren ständig zu hören und manchmal konnte er sie auch im Geäst entdecken. Ab und zu sah er ein Eichhörnchen. Wildkaninchen waren sehr selten, da sie schon reißaus nahmen bevor Bastian sie sah. Auf einer der Auwiesen hatte er von ferne ein Reh gesehen. Nur einem phantásischen Wesen begegnete er nicht. Es wurde langsam Mittag. Bastian vermutete es jedenfalls. Sein hungriger Magen verdarb im jedes Zeitgefühl. Er suchte sich ein schattiges Plätzchen und setzte sich hin. In dem Bach schwamm auch nichts vernünftiges zum essen. Und lebende Kaulquappen fand Bastian zu eklig. So langsam kamen ihm Zweifel. Hätte er eine andere Richtung einschlagen sollen oder stimmte hier etwas nicht? Einsam und hungrig zu sein – diese Gefühle nagten an Bastians Selbsbewusstsein. Der Tag verging quälend langsam, ohne das noch etwas nennenswertes passierte. Schließlich war er an eine Stelle gekommen wo der Bach etwas schneller floss. Dort schien das Wasser klarer zu sein. Bastian konnte seinen Durst nicht mehr beherrschen und trank. Wie gut das tat! Bastian trank sich satt. Endlich ging es ihm etwas besser. Er beschloss hier zu pausieren. Die Sonne begann bereits wieder zu sinken und obwohl Bastian keine rechte Lust dazu hatte, musste er sich wohl oder übel auf die kommende Nacht vorbereiten. Aber hatte es Sinn überhaupt einen Rastplatz zu suchen? Bastian besaß nichts. Außer das, was er auf dem Leibe trug. Er konnte kein Feuer machen. Im Grunde war es doch egal wo er schlief. Wenn bloß die nächtliche Kühle nicht wäre. Und wenn Nachts wilde Tiere kamen? Bastian überlegte auf einen hohen Baum zu klettern. Wenn er aber dort oben einschlief und im Schlaf herunterfiel? Schließlich hatte er eine Idee. Er schleppte einige starke Äste heran und stellte sie so zusammen, das in der Mitte dazwischen ein Hohlraum entstand. Anschließend brach er einige laubtragende Zweige von den umliegenden Bäumen ab und flocht sie so gut er konnte zwischen die Äste. Es dauerte eine ganze Weile, aber Bastian war schließlich mit seinem Werk zufrieden. Bei der Suche nach Baumaterial für seinen Rastplatz fand er auch einen vetrockneten Knüppel, der so gewachsen war, das man ihn zur Not als Waffe benutzen konnte. Bastian legte sich zur Probe in seine selbstgebastelte Behausung. Na ja. Es musste gehen. Besser als gar nichts. Er hatte den Boden noch mit trockenem Laub ausgelegt. So sollte es sich eigentlich aushalten lassen. Wenn das Wetter so blieb, konnte die Nacht kommen. Es wurde dunkel. Bastian ärgerte sich wieder, das er kein Feuer anzünden konnte. Hoffentlich kamen über Nacht keine aggresiven Tiere in die Nähe. Er versuchte ein wenig die Augen zuzumachen. Den nächsten Tag musste unbedingt etwas passieren! Der unerträgliche Hunger hinderte ihn penetrant am Einschlafen. Ihm war regelrecht schlecht deswegen.


Nein – Phantásien hatte sich ihm bis jetzt von seiner langweiligsten und schlechtesten Seite gezeigt. Bastian kam nicht in den Sinn, das er möglicherweise selbst Schuld daran war. Klar, er hatte das Auryn nicht. Aber was viel schlimmer war, er hatte keine rechte Vorstellung wo seine Reise überhaupt hingehen sollte. Er wollte am liebsten nach Amarganth, mal sehen, was aus ‚seiner‘ Bibliothek geworden war. Doch nach Amarganth führte kein Weg. Er musste erst herausbekommen wie man dorthin kam. Und um das zu erfahren, musste er erstmal jemanden finden, der ihm das sagen konnte. Doch zuerst musste er jemanden finden, der ihm überhaupt eine Orientierung gab. Phantásien war so riesig groß. Man konnte sich endlos darin verlieren, wenn man keinen Überblick hatte. Wo war er bloß hingeraten?


Bastian war der Meinung, das er überhaupt nicht schlief. Jedenfalls war sein Schlaf sehr unruhig. Er hatte sich so gut es ging zusammengerollt und hielt den Knüppel die ganze Zeit griffbereit in den Händen. Ab und zu glitt er dann doch in tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem er dann jäh wieder erwachte. Entweder weil der Wind mal etwas stärker über die Baumwipfel strich und diese darauf geheimnisvoll anschwellend rauschten. Oder weil es irgendwo plötzlich geraschelt oder geknackt hatte. Bastian schrak jedesmal hoch und war hellwach. Ansonsten war es still im Wald. Kein Vogel zwitscherte. Nur das Rauschen des Windes in den Bäumen, das Rascheln losen Laubes und das gelegentliche Knacken und Knarren von großen Ästen und Zweigen, die sich im Luftzug bewegten, war zu hören. Obwohl Bastian sich mental auf alles mögliche vorbereitet hatte, passierte die Nacht über nichts besonderes. Keine wilden Tiere, keine geheimnisvollen Erscheinungen, kein Troll und kein Irrlicht ließen sich blicken.

Nach einer endlos langen Zeit begann es wieder zu dämmern. Bastian bemerkte es nur, weil er wieder aus seinem Halbschlaf erwachte und mitbekam, das die ersten Vögel wieder mit ihrem Gesang begonnen hatten. Der Wind ließ nach und immer mehr Vögel stimmten ein. Irgendwie fühlte sich Bastian jetzt sicherer. Schließlich schlief er ein und merkte nicht, wie die Sonne höher stieg und es hell wurde. Als er wieder erwachte war es Tag. Bastian taten alle Glieder weh. Er hatte wie ein Penner im Freien übernachtet und er haderte mit sich, ob er diese Erfahrung positiv oder negativ nehmen sollte. Bastian stand auf und reckte die verspannten Gliedmaßen. Er beschloss zum Bach zurückzugehen, um sich ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht zu werfen. Offenbar konnte man das Wasser doch problemlos trinken. Er kehrte zu besagter Stelle zurück und machte eine erschreckende Entdeckung. Dort fanden sich plötzlich fremde Fußspuren! Es waren definitiv nicht Bastians Fußabdrücke. Er war zwar kein Indianer, aber auch er konnte die frischen Spuren eines Pferdes und die Abdrücke von nackten Füßen erkennen. Es widerstrebte ihm zwar, weil er etwas Angst verspürte, aber Bastian musste herausfinden zu wem diese Abdrücke gehörten. Zuerst erledigte er seine Katzenwäsche und trank. Zu Essen gab es wieder nichts. Dann machte er sich daran die fremden Spuren zu verfolgen. Sie führten quer in den Bach hinein, wo Bastian die Spur verlor. Doch der Reiter musste geradeaus hindurchgegangen sein. Am anderen Ufer fand er die Abdrücke wieder. Dann wurde es kompliziert, da die Spuren geradewegs in eine hochgewachsene Wiese hinein. An deren anderen Ende fing wieder Wald an. Bastian nahm sich vor die Wiese zu durchqueren und dort am Waldrand die Spur erneut zu suchen. Er war eine ganze Weile gegangen, als er plötzlich innehielt. Er hatte etwas gespürt. Hatte der Boden leise vibriert? Vorsichtig ging er weiter und erreichte das andere Ende der Wiese. Dort, wo der Wald wieder anfing, gab es plötzlich jede Menge Spuren. Der Weg musste vor undenklichen Zeiten mal ein Bach oder Flußbett gewesen sein. Er führte ziemlich tiefliegend in den Wald hinein, links und rechts waren steile Hänge. Oben standen ein paar Büsche. Bastian war dem Weg schon eine ganze Weile gefolgt, als er plötzlich wieder aufgrund irgendeiner Ahnung innehielt. Diesmal täuschte er sich nicht. Er hörte den Hufschlag eines schnell näherkommenden Pferdes. Bastian zog es vor sich zu verstecken. Er rannte so schnell er konnte die Böschung hoch und nahm Deckung zwischen den Büschen. Er hatte kaum seine Stellung bezogen, als auch schon unten im schnellen Galopp Ross und Reiter vorbeipreschten. Bastian glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Der Reiter war ein Kind gewesen! Er schätzte es auf nicht älter als vierzehn Jahre. Es trug eine eigenartig martialische Kleidung, die fast vollständig aus Leder bestand. Dieses Aussehen verlieh dem jungen Reiter etwas Aggressives. Bastian wollte nicht mehr unten lang gehen. Hier oben konnte man sich auch besser verstecken. Hier lag viel Unterholz aus umgestürzten Bäumen. Er musste immer wieder die Richtung ändern um dem auszuweichen. Plötzlich blieb ihm fast das Herz stehen, so sehr erschrak Bastian. Vor ihm stand wie aus dem Nichts ein kleiner etwa zehn Jahre alter Junge. Dieser hatte sich wohl genauso erschrocken, denn er blickte Bastian aus angstgeweiteten, weit aufgerissenen Augen an. Bastian sagte beinahe erleichtert „Och – hast du mich erschrocken.“ als der Junge plötzlich so laut er konnte „Ich hab‘ ihn!“ brüllte. Das klang jedenfalls nicht wie ein herzliches Willkommen! Eher nach Hetzjagd. Bastian drehte sich um und sondierte das Gelände. Sollte er weglaufen? Oder besser, würde er den kleinen Jungen mit dem halbwilden Aussehen überhaupt abhängen können? Es war nicht der Reiter, erkannte Bastian. Es mussten mehrere Kinder sein. Bastian ergriff die Flucht. Zuerst ging er nur und beobachtete seinen Gegner. Als der sich nicht rührte lief er los. Er bekam gerade noch mit, das der Junge die Verfolgung aufnahm. Kurz bevor er ebenfalls losrannte, brüllte er nochmal „Ich hab‘ ihn!“ in den Wald. Dessen Chancen Bastian nicht zu verlieren standen nicht schlecht. Denn der konnte nicht auf geradem Weg fliehen, weil ständig irgendwas im Weg lag. Und dann sah er einen weiteren, viel größeren Jungen auf sich zukommen, der eine Art Speer mit einer langen metallischen Klinge dabei hatte. Es schien eine Art Jagdwaffe zu sein. Bastian ging ein paar Schritte zurück, blieb stehen und hob beschwichtigend die Hände. Schließlich wurde er von allen Seiten eingekreist. Die ganze Horde bestand aus fünf Kindern. Den Jüngsten hatte Bastian gerade getroffen. Die größeren waren schätzungsweise auch nicht älter als sechzehn Jahre alt. Alle trugen eine merkwürdig martialische Bekleidung, die allerdings nicht einheitlich war. Die Haartracht variierte genauso. Einer hatte einen fast kahlgeschorenen Schädel, ähnlich wie die Technofreaks. Zwei hatten lange Haare, die der eine im Nacken, der andere am oberen Hinterkopf zu einem Schopf zusammengebunden hatte. Der Älteste von ihnen, der offenbar ihr Anführer war, fiel überhaupt nicht weiter auf. Der Reiter von vorhin fehlte, stellte Bastian fest. Er und die fünf standen sich gegenüber wie Raubtiere auf dem Sprung. Bastian überlegte fieberhaft was er sagen sollte. Er hatte gehört, wie einer leise dem anderen abschätzig „Ein Erwachsener!“ zuflüsterte. Schließlich ergriff der Anführer das Wort.

„Was suchst du hier und wer bist du überhaupt?!“ Auf den ersten Teil der Frage wusste Bastian keine Antwort.

„Ok – ok! Ich will nichts von euch und ihr lasst mich in Ruhe. Außerdem habe ich eh nichts. Und ich habe keinen Bock auf Kindergarten. Wenn ich euch helfen kann, dann sagt es mir. Ich brauche nämlich auch Hilfe.“ Uff, geschafft! Bastian betrachtete seine Wortwahl als sehr diplomatisch.

„Ich hab dich was gefragt!“ versetzte der Anführer. Wie bitte? Bastian war es nicht gewohnt, das ein Kind so mit ihm sprach. Seine Miene verfinsterte sich.

„Hast du keinen Namen? Das ist mal wieder typisch für‘n Erwachsenen! Unkonkret rumlabern und das wichtigste vergessen!“ Fünf Augenpaare waren auf Bastian gerichtet.

„Ich? Ich bin Bastian. Bastian Balthasar Bux.“

„Und ich bin die Toffi-Fee vom Wörthersee!“ Das einsetzende Gekicher und Gegrunze unter den übrigen Kindern zeigte, das sich kaum jemand das Lachen verkneifen konnte. Bastian jedoch tat das sehr weh. Offenbar erkannte ihn niemand. Aber welchen Grund gab es, seinen Namen anzuzweifeln?

„Also, verscheißern kann ich mich alleine. Wie heißt du nun wirklich?“

Bastian wiederholte etwas kläglich seinen Namen. Das Gesicht des Anführers wurde ernster.

„Angeber habe ich ja schon oft erlebt. Aber du schießt echt den Vogel ab! Bastian Balthasar Bux war schon Ewigkeiten nicht mehr hier. Weil der Psychodrogen nimmt. Das ist eine ganz arme Sau. Der Retter von Phantásien IST nicht mehr! Der wird NIE mehr hierher kommen!“ Selbst in Phantásien wusste man von Bastians Tabletten. Wie war das möglich?

„Und ausgerechnet DEN seinen Namen musst du nehmen. Hochstapler! Phantasieloses – nee! Geh‘ bloß dahin zurück, wo du hingehörst!“ setzte der Anführer in scharfem Ton fort.

„Und wo soll das sein?“ wagte Bastian zu fragen. Der Anführer warf Bastian einen Blick zu, als ob er ihn durchbohren wollte.

„Wir wissen genau, das jeder Mensch seine Gestalt in Phantásien frei wählen kann. Wir werden schon dafür sorgen, das du bald wieder da bist wo du herkommst.“ war die Antwort.

Bastian verstand nicht so recht. Wenn damit gemeint war ihn in die Menschenwelt zurückkehren zu lassen, dann musste vorher erst seine Geschichte enden. Sollte er etwa umgebracht werden? Der Jüngere, der neben dem Sprecher stand, fragte irgendwas, was Bastian nicht verstand. Der Junge, der den Wortführer gab, sagte daraufhin „Greift ihn euch und fesselt ihn!“. Bastian gefror das Blut in den Adern. Nein – das durften die nicht mit ihm tun! Das würde er sich nicht gefallenlassen. Alles konnte man mit ihm machen, aber seine Freiheit würde er sich nicht nehmen lassen. Schon gar nicht von einer Horde halbwilder Kinder. Die, die ihm am nächsten standen, streckten schon die Hände nach ihm aus, als er sich blitzartig umdrehte und einen verzweifelten Fluchtversuch unternahm. Dort wo der jüngste und schwächste stand würde er den Ring durchbrechen können. Er packte blitzartig den Jüngsten, zerrte ihn zu sich heran, damit der das Gleichgewicht verlor und wollte ihn anschließend nach hinten umschubsen. Doch die anderen hatten ihn sofort eingeholt.

Einer trat Bastian in die Kniekehlen, ein anderer schlug ihm die Füße weg, so das er einknickte und lang hinschlug. Unglücklicherweise fiel er mit voller Wucht auf den auf den kleinen Zehnjährigen, der vor Schmerz aufschrie und kurz weinte, ehe er sich wieder ihm Griff hatte. Bastian tat das furchtbar leid. Aber der Zweck heiligte die Mittel, denn er hatte Angst. Was wollten die Kinder mit ihm anstellen? Inzwischen hatte einer Bastians Fuß gepackt und drehte ihn so, das er sich nicht mehr auf den Rücken drehen konnte. Ein anderer drückte mit seinem Knie Bastians Kopf zu Boden. Sein wütender Protest blieb ungehört. „Was wollt ihr von mir? Lasst mich los! Gott, seid ihr brutal! Ahh! Hilfe!!!“ Der kleine Junge, den Bastian beim Hinfallen erwischt hatte, hatte sich wieder aufgerappelt und trat dem am Boden Liegendem mit aller Kraft in die Rippen. Der bekam nicht mit, wie die anderen den Kleinen daraufhin zurückrissen und tadelten.

Plötzlich ließen alle von ihm ab. Bastian versuchte wieder aufzustehen, so gut es mit zusammen-gebundenen Handgelenken eben ging. Der Anführer packte ihn am Arm, deutete mit dem Kopf nach vorne und sagte „Da geht's lang.“ Bastian reichte es jetzt. „Du kannst mich mal! Wenn ihr mich umbringen wollt, dann macht‘s doch gleich hier! Und wenn ihr mich auffressen wollt, dann stecht mich vorher ab. Ich hasse es wenn man langsam verblutet.“ Der Junge ließ ihn los, schnitt eine Grimasse und stöhnte leise. Im selben Augenblick bekam Bastian einen schmerzhaften Tritt ins Hinterteil. Er hatte nicht bemerkt, das jemand hinter ihm stand. Der Junge mit den kurzen Haaren hatte kräftig zugetreten. Es war ausweglos. Es blieb ihm nichts anderes übrig als seine Lage mit Fassung zu ertragen. „Macht doch was ihr wollt.“ murmelte er resignierend und setzte sich in Bewegung. Sie gingen eine ganze Weile und kamen zu einer kleinen Lichtung. Dort wartete übrigens der Reiter, den Bastian als erstes gesehen hatte. Und er sah noch ein weiteres Pferd. Es mussten also sechs Leute sein. Wenn nicht noch mehr. Die Jungen waren auf der Jagd gewesen. Ihre Beute bestand bis jetzt aus drei Kaninchen. Diese Lichtung musste ihr Sammelplatz sein. Auf einem Haufen sah er merkwürdige Knollen liegen. Die Kinder mussten sie ausgegraben und hier abgelegt haben. Ob und wie man sie essen konnte oder wozu sie sonst da waren, konnte sich Bastian nicht vorstellen. Er spürte das die Gruppe aufbrechen wollte. Und noch etwas bemerkte er. Sie trugen merkwürdig menschliche Namen! Der mit den kurzen Haaren hieß zum Beispiel Dirk, hatte er herausgehört. Der Kleine, den Bastian als erstes getroffen hatte, wurde von allen nur ‚Leo‘ gerufen. Auch ein Mädchen gehörte zur Gruppe. Ihm war es vorhin gar nicht aufgefallen. Sie trug kurze, schwarze Haare. An den Konturen ihres Gesichts konnte man die weiblichen Züge entdecken. Man musste aber schon genauer hinsehen. Und was war das für ein Tier, das jetzt ebenfalls aus dem Wald gelaufen kam und den Kindern um die Beine strich? Es musste ein Hund sein, eine undefinierbare, struppige Promenadenmischung. Er schien erzogen worden zu sein, denn er gehorchte aufs Wort. Soeben kam Leo wieder in Bastians Nähe und schickte sich an die gesammelten Knollen in einen Beutel zu stecken. Die anderen standen ein wenig abseits und besprachen die Rückkehr zu ihrem Lager. Es ging auch um Bastian. Sie sprachen von einer ‚Schlucht ohne Wiederkehr‘ und das sie keine Lust hatten ständig auf ihn aufzupassen.

Bastian ergriff die Chance und sprach Leo an.

„He, Leo?“ Der Angesprochene reagierte kaum und ließ sich bei seiner Beschäftigung nicht stören. Schließlich antwortete er aber doch.

„Was ist?“

„Das vorhin tut mir leid.“ sagte Bastian.

„Was vorhin?“

„Als ich auf dich draufgefallen bin.“

„Phh. Du hast mich doch nur genommen, weil ich der Schwächste bin.“ Bastian bemerkte, das er in den Augen von Leo ein Feigling war.

„Warum bist du überhaupt weggelaufen?“ fragte Leo. Bastian überlegte wie er antworten sollte.

„Also, wenn ich euch so sehe, dann seid ihr auf den ersten Blick eine wildgewordene Räuber- und Killerbande. Und dann soll man keine Angst vor euch haben?“ Leo sah an sich herunter und dann Bastian in die Augen. Inzwischen hatte er alle Knollen in den Beutel gestopft und stand auf.

„Sehe ich aus wie ein Killer?“ fragte Leo und setzte leise hinzu „Penner.“

„Was ist die ‚Schlucht ohne Wiederkehr‘?“ fragte Bastian. Leo hielt inne.

„Woher weißt du davon?“

„Ihr habt eben darüber gesprochen.“ Bastian spürte das Leo überlegte.

„Du willst was wissen über die Schlucht ohne Wiederkehr?“

„Ja.“

„Wir werden dich bald dahin bringen. Dann wirst du es schon erfahren. Es ist der Ort der Rückkehr in deine Welt.“

„Wie ‚meine Welt‘?“ fragte Bastian.

„Na welche wohl? Die Menschenwelt natürlich.“ Bastian traute sich kaum die nächste Frage zu stellen. „Du bist doch auch ein Menschenkind, oder?“ Leo wurde es unangenehm. „Das brauchst du nicht zu wissen.“

In diesem Augenblick kam der Hund der Gruppe näher. Neugierig kam er dicht an Bastian heran. „Na Zoffi, was ist?“ begrüßte Leo das Tier. Zoffi jedoch beschnupperte schwanzwedelnd Bastians Hosenbeine. Schließlich stellte er sich vor Bastian hin und ließ ein kurzes „Wuff!“ hören.

„Ich glaube, er mag dich.“ sagte Leo „Deine Chancen steigen.“

„Wie?“ fragte Bastian.

„Das du vielleicht hierbleibst.“ Die Gruppe mit den anderen hatte ihr Palaver beendet und kam wieder näher.

„Mach mich los.“ sagte Bastian „Ich komme auch so mit euch mit.“ Leo sah die anderen näher- kommen und sagte nur: „Vergiss es!“ Die Gruppe hatte bemerkt, das Bastian sich mit Leo unterhalten hatte.

„Na, habt ihr nett geplaudert?“ merkte einer an, und zu Bastian gerichtet „Außer das er uns nicht mal seinen richtigen Namen verrät und nicht einmal weiß, was er hier eigentlich will, ist er wohl ein ganz netter Kerl, was?“ Der Junge, der auf die Pferde aufgepasst hatte, griff sich die drei Kaninchen und den Beutel mit den Knollen und sprang auf den Rücken seines Reittieres. Zu Bastians größter Überraschung war Leo der Reiter des anderen Pferdes. Aber das hing möglicherweise damit zusammen, was jetzt folgte. Er wurde zu dem Tier geführt, auf dessen Rücken bereits Leo saß.

„So.“ sagte einer „Du steigst jetzt auch da auf.“

„Wie denn, mit gefesselten Händen?“ entgegnete Bastian.

„Laber nicht rum, das geht.“ Der Kräftigste stellte sich vor Bastian hin und formte seine Hände zur Räuberleiter.

„Nicht deinen Fuß. Gib mir dein linkes Knie!“ Sekunden später saß er hinter Leo auf dem Pferderücken.

„Und mach keinen Quatsch.“ gab der Anführer Bastian zu verstehen.

„Und pass auf, das er dich nicht würgt.“ frotzelte ein anderer in Leos Richtung. Die beiden, oder besser die drei, ritten los. Vorneweg der Junge mit der Jagdbeute, dahinter Leo mit Bastian. Die restlichen vier folgten zu Fuß. Bastian kam sich reichlich blöd vor. Er war viel größer und älter – und doch hatte er nichts zu sagen. Im Gegenteil, die Kinder hatten ihn zu ihrem Gefangenen gemacht und er musste ihre Anweisungen befolgen. Sein Widerspruch war ihnen nichts wert. Doch warum verhielten sie sich so? Wäre alles anders gekommen, wenn Bastian nicht versucht hätte wegzulaufen? Er wusste selbst nicht mehr so recht, warum er es getan hatte. Die Kinder schienen ihm auch nicht so aggressiv, wie er zuerst annahm. Aber die Sonderbehandlung, die sie ihm zuteil werden ließen, demütigte ihn zutiefst. Doch er sollte noch erfahren, welcher Grund hinter dem Verhalten der Meute steckte.

Es dauerte nicht lange und sie erreichten das Lager der Kinder. Der Ritt ging noch durch einen kleinen, schnellfließenden Bach und sie erreichten eine Wiese, die von drei Seiten von Wald umgeben war. Ziemlich in der Mitte befand sich eine Feuerstelle. Daneben lag ein größerer Haufen Brennholz. Bastian konnte auch zwei Behausungen entdecken. Die ansehnlichere von beiden war ein großes Zelt, ähnlich einem indianischen Tipi. Das andere war eine aus Lehm, Ästen und Strauchwerk zusammengebastelte Hütte. Nahe der Feuerstelle, in der jetzt kein Feuer brannte, stoppten die Reiter. Niemand sonst war zu sehen. Der erste Reiter warf die mitgebrachten Sachen auf den Boden und stieß einen lauten Schrei aus, der mehrfach von den angrenzenden Waldrändern widerhallte. Schließlich ertönte von irgendwoher ein leises „Hier!“. Die Reiter setzten sich wieder in Bewegung und hielten auf den Bachlauf zu. Ein Junge kam die Böschung hochgeklettert. Als er die drei kommen sah, blieb er verwundert stehen. Er schaute Bastian interessiert an. Und dieser musterte den Jungen. Er hatte lange, gekräuselte, braunschwarze Haare, die er sich zu einem Schopf zusammengebunden hatte. Er trug eine Art T-Shirt aus samtschimmernden dunkelbraunen Leder. So etwas hatte Bastian noch nie gesehen. Aber es sah sehr edel aus. Dazu trug er eine schwarze Hose. Er war barfuß. Bastian fragte sich, ob es wohl der Anführer sein mochte. Der Junge war jetzt bis auf ein paar Meter herangekommen. Er bemerkte, das Bastians Hände zusammengebunden waren.

„Warum habt ihr ihn gefesselt?“ fragte er verwundert.

„Weil es ein Arschloch ist!“ entgegnete der Junge auf dem anderen Pferd. „Er hält sich für Bastian Balthasar Bux.“

„Aber wieso? Ihr hättet ihm ruhig glauben können.“

„Ach, sag bloß er ist es wirklich?“ entgegnete der Reiter in nicht wirklich überzeugtem Ton. Leo sprang ab. Drei Augenpaare beäugten Bastian kritisch. In diesem Moment kamen auch die anderen vier Jäger zurück.

„Was ist los?“ rief Dirk schon von weitem. Bastian drehte sich zu ihm um. Er saß mit gebundenen Händen auf dem Pferd, während er von allen umringt wurde. Leo meinte lapidar zu den anderen: „Tja, ihr hättet euch das alles sparen können.“

„Wieso?“ fragte die Meute. Leo nickte dem Jungen mit den braunschwarzen Haaren zu.

„Es IST Bastian Balthasar Bux. Er ist es wirklich. Er hat mir vor einiger Zeit ein Autogramm gegeben.“ Bastian konnte sich an diesen Jungen zwar nicht erinnern, aber wenn er es sagte? Irgendjemand warf ein „Ach, der kann es gar nicht sein. Bux nimmt Drogen. Der kommt nicht mehr hierher.“ Ein anderer ergänzte sogar den Namen des Medikaments, das Bastian bis vor kurzem tatsächlich genommen hatte. Der kam sich vor wie auf einer Gerichtsverhandlung. Woher wussten sie das alles über ihn? Einige grinsten und Bastian kam es vor, als würden sie sich über ihn lustig machen. Der Junge, der ihn auch erkannt hatte, trat vor und sagte „Auf jeden Fall werden wir ihn nicht in die Schlucht werfen.“ und schnitt Bastians Fesseln durch.

Rainer - Hamburg

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